(Sie und ich, wir kennen uns nicht. Jedenfalls nicht persönlich. Aber ich durfte ihre Geschichte lesen. Ihren Kampf. Und diese Geschichte hat was mit mir gemacht. Ich durfte Frage stellen, sie hat geantwortet. Danke, dass nun alle es lesen dürfen.)
Der Kampf
Schon krass zu erkennen, welche Aggressivität in mir steckt. Wie viel Wut und gleichzeitig die Angst davor. Also davor, diese Wut mal rauszulassen.
Wie immens kann ich jemanden hassen, wie krass auf jemanden wütend und sauer oder auch von jemandem enttäuscht sein. Wie sehr wurde ich verletzt, wie wenig hab ich mich gewehrt.
Fast ohnmächtig spür ich all das Unterdrückte in mir. Immer wenn ich dem Ganzen ein Gesicht geben will, beruhige ich mich selbst, drehe runter und auf keinen Fall zeige ich mit dem Finger auf Jemanden, gebe Schuld oder suche Ausreden. Ich kann und will es nicht greifen.
Aber gerade jetzt bin so geladen, fühle die tiefe Wut und am liebsten würde ich dieses eine Mal einfach alles rauslassen und in einem Kampf diesen Gefühlen nachgeben. Richtig böse, richtig laut. Einfach haltlos. Bis nichts mehr geht, damit es endlich in mir ruhig wird.
Genauso will ich es. Ein Kampf, der mich fordert und in dem ich allen zeigen kann, wie krass es in mir arbeitet, welche Energie, welche Stärke da ist. That’s me! Aaahhhhh
Ich bin so wütend, ich schaue mit schmalen Augen vor mir ins Leere. Mein Atem ist ganz flach, ich halte alles in mir zusammen. Wie so oft. Ich platze gleich, beherrsche mich, hab gleichzeitig keine Lust mehr auf Verstehen, Akzeptieren, Diplomatie und Anpassen.
So atme ich nun tief und hörbar ein, schließe meine Augen.
Ich kann meinen Kampf jetzt förmlich sehen und schaue genau auf jede einzelne Sequenz. Endlich habe ich meinen Gegner. Mein Gegner, der meint, mich angreifen, mich besiegen und meine Wut überstehen zu können. Er steht vor mir, hält noch Abstand, als wartete er auf mich.
Wir sind beide in Schutzmontur, bestens gewappnet. Es kann losgehen, so hab ich es gewollt. Der Kampf beginnt. Ich greife an und tobe mich aus, mein Gegner hält gegen.
Alles, was ich schon immer und wollte, tue ich jetzt. Ich renne ihn um, trete auf ihn ein, bedränge ihn und schreie ihn an. Ich fühle mich bereits als Gewinner.
Es ist anstrengend und herausfordernd. Fühlt sich unendlich lange an. Ich werde kurz durchatmen und dann die nächste Runde antreten. Ich spüre, ich brauche diese Pause. Aber nur kurz.
Mein Gegner ist stark, schützt sich gut und lässt es zu, dass ich mich an ihm messe. Ich gewinne an Boden, dränge ihn in die Ecke. Er weicht mir aus. Das macht mich noch wütender und ich schreie es raus.
Mittlerweile wäre jeder abgehauen, hätte mich stehengelassen. Er nicht. Als sehe er keine Gefahr, als wüsste er, was passieren wird. Ich kann es förmlich spüren, dass meine Pausen auch seine Pausen sind. Wir sind beide auf der Hut und jeder Angriff ist ein erbitterter Kampf gegeneinander. Fast endlos. Wir schenken uns nichts, keinen Zentimeter.
Durch seine Schutzmontur kann ich nicht genau sehen, wer mir gegenüber steht. Noch interessiert es mich auch nicht. Er bekommt es sicher nicht ohne Grund ab. Ich kann nicht erkennen, auf wenn ich einprügele, wen ich trete, wen ich immer wieder auffordere, sich zu wehren. Viele Situationen fallen mir ein, in denen ich diese Wut, die Enttäuschung, die Ablehnung gespürt habe. Ich hab es geduldet. Ich hab mich nicht gewehrt, mich nicht verteidigt, ich war ohnmächtig.
Und jetzt ist er da, der Moment, an dem ich alles heimzahlen kann. Ich hab Angst, mich darin zu verlieren, aber das geschieht nicht. Mein Gegner bleibt solang, wie ich bleibe. Warum verdammt. Eigentlich müsste er gehen, um das Ende bitten und sich verpissen. Tut er nicht. Er bleibt. Er ist genauso kraftvoll wie ich.
In mir kommt ein Gefühl auf, dass dieser Kampf endlos werden könnte. Und eigentlich kann niemand das Ganze so mitmachen. Nicht, wenn er nicht irgendwie so ist wie ich. Das würde bedeuten, dass mein Gegner mir ähnlich ist.
Niemals – weil ja niemand, der so tickt wie ich, jemals so verletzend wäre, so kränkend und so ablehnend handeln würde. Unvorstellbar. Niemals. Und doch gibt es ihn, er ist ja da, dieser Gegner.
Je erschöpfter ich werde, umso mehr fühlt mein Gegner sich für mich bekannt, ja fast vertraut an. Er tickt nicht nur wie ich und hat die gleiche Stärke, sondern er ist mir irgendwie ähnlich. Sein Gegenhalten, sein Lauern, die Reaktionen, als würden wir uns kennen und nicht das erste Mal begegnen.
Erschöpft und mit weniger Wut in mir, wird mein Blick klarer. Die Gedanken kommen zur Ruhe. Und so, als wäre der richtige Moment jetzt gekommen, sehe ich meinen Gegner immer deutlicher.
Mein Atem stockt, alles wird still um mich und ich erkenne…..mich.
Ich stehe mir selbst gegenüber. Mit aller Kraft, mit aller Weichheit, mit all den Blessuren. Mit all dem Traurigen und dem fühlbar guten Herzen. Einfach ich.
Ich sinke auf die Knie und kann nicht glauben, gegen wen ich gekämpft, wenn ich gehasst habe und für wen ich bislang nicht eingestanden bin. Und gleichzeitig spüre ich so viel Mitgefühl, eine tiefe Wärme in mir und möchte mich einfach nur umarmen und halten. Diese Gefühl, mir selbst von Herzen zu vergeben.
In Liebe (zu mir selbst)
Ich antwortete ihr: Wurdest du missbraucht? Hast du zu selten nein gesagt? Sie antwortete mir:
Ich bin im DDR System aufgewachsen und mit einem Polizisten als Vater war ich natürlich sehr angepasst und auch ehrgeizig unterwegs. Ob ich wollte oder nicht. Ich war mit 12 Jahren quasi erwachsen, da meine Eltern sich getrennt haben.
Die Scheidung verlief ganz ruhig, aber ich hatte plötzlich eine andere Position in der Familie. Da ich keine Geschwister hab, lag natürlich jedes Augenmerk auf mir. In der Regel war ich unauffällig genug, um meine Ma nicht noch mehr zu belasten und nicht für Traurigkeit zu sorgen. Ich ahnte ja nicht, wie lange dies so bleiben würde.
Mein Vater verstarb, als ich 19 Jahre alt war. Unser Verhältnis war gut und je erwachsener ich wurde, umso mehr fanden wir zueinander. Sein Job war immer sein Leben, dass veränderte sich erst in seinen letzten Wochen.
Ich habe zurückschauend festgestellt, dass meine Ma wohl mit Depressionen zu kämpfen hatte. In der DDR gab es hierfür eher wenig Anlaufstellen. Sie war nicht so lethargisch oder nichts tuend, im Gegenteil, sie hat alles irgendwie allein gemeistert. Aber, sie war einfach dauerunglücklich und traurig und immer irgendwie besorgt. Als ich 26 war, hat sie versucht, sich das Leben zu nehmen, der erschreckende Moment für mich kam im Krankenhaus. Mein Flehen, dass sie bleiben müsste, weil sie gebraucht wird, half da nur wenig. Mir war in diesem Moment nicht bewusst, was dies alles bedeutet. Es folgten 13 Jahre, in denen ich mir Sorgen machte, permanent auf der Hut war und versuchte, sie mit meinem guten und lebendigen Leben aufzuheitern und anzustecken.
Alles war für sie, ich hab getan, was sie stolz macht, unabhängig davon, was ich über all das denke und ob es mich glücklich macht. Sie ist dann an einem Schlaganfall mit einem folgenden Herzinfarkt verstorben, als ich 39 Jahre alt war. Und somit hatte ich keinen Lebensmittelpunkt, keine Aufgabe, keinen Sinn mehr, wofür es sich lohnt, morgens aufzustehen, und ich hatte versagt. Und ich hab sie vermisst.
„Ich hab lange gebraucht“
Ich hab lange gebraucht, um das zu erkennen und es rührt mich grad eben wieder. Und gleichzeitig bin ich sicher mit mir, da ich mir mit knapp 50 Jahren all das angeschaut habe. Es war vieles in meiner Kindheit, was so nicht sein sollte und was ich aufarbeiten durfte. Lange Zeit konnte ich Bilder, die immer wieder auftauchten, nicht einsortieren. Ich habe mir dann therapeutische Hilfe gesucht, um herauszufinden, was ich da verdränge. Und ja, es gab einen sexuellen Übergriff als ich 8 war. Der wurde aber zum Glück durch meine Tante noch vereitelt, aber auch das im Moment schon Geschehene, hat gereicht. Perfekt verdrängt, hat es sich später in meinen Beziehungen gezeigt. Dieses Vorkommnis und auch die Beziehungssituation meiner Eltern, der Leistungsdruck und die stete Sorge haben mein Leben geprägt.
Ich bin nicht böse oder sauer, obwohl ein Therapeut mal meinte, dass dies auch ein Weg wäre, um die Trauer loszulassen. Das ist nicht mein Weg. Tief in mir weiß ich, dass vieles, was ich in Zusammenhang mit meiner Ma spüre, nicht meins ist. Vielleicht klingt dies merkwürdig, aber wir bekommen ja von den Generationen vor uns auch emotionale Altlasten mit. Meine Ma hatte eine fürchterliche Kindheit und war wohl nie wirklich glücklich. Das wusste ich bis vor zwei Jahren nur im Ansatz. Ich konnte dann von meiner Tante mehr Details erfahren. Meine Ma hat außer von meinem Vater nie Liebe erfahren dürfen. Ich spüre diese, ihre tiefe Traurigkeit in mir und denke, das bin ich nicht. Ich habe keinen Grund, ihre Traurigkeit weiter zu leben.
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