Ich hatte damals etwas außerhalb von Bremen einen Job angefangen.
Nie zuvor musste ich so weit zu meiner Arbeit fahren wie zu dieser Zeit. Die Strecke war so weit, dass ich jeden zweiten Abend an derselben Tankstelle anhielt und vollmachte.
Und ich hielt auch an, wenn mein Tank nicht leer war.
»Noch ein Brötchen dazu?«, fragte mich Cleo fast jedes Mal. Ich konnte nie nein sagen.
»Ist auch zum halben Preis«, sagte sie dann und ich hätte am liebsten »Ich nehm es auch für den dreifachen Preis«, geantwortet.
Cleo trug immer eine kurzärmlige, weiße Bluse mit steifem Kragen. Die Haare hatte sie zum Zopf gebunden. Links und rechts hingen ein paar Strähnchen an der Stirn runter, als wäre sie eine Elfe. Und ihr Blick war immer so …, ich kann es nicht beschreiben. Solch ein Blick, für den man auch an der Tanke anhält, wenn der Tank voll ist. Irgendwie tief und irgendwie traurig.
Ich hatte schon mehrmals darüber nachgedacht, sie etwas zu fragen.
Um vielleicht eines Tages ein »Wollen wir mal was trinken gehen« über meine Lippen zu bringen.
Aber bis auf das »Ja, gerne« zum »Brötchen?« und heimliches Herzklopfen brachte ich nichts zustande.
An einem Mittwoch Abend dann, es war einer meiner letzten Arbeitstage, was ich zu dem Zeitpunkt noch nicht wusste, stand an der vorletzten Kreuzung ein Kerl mit Rosen. Und irgendwie überkam mich ein »Jetzt oder nie« und ich kaufte eine. Mit jeder Anmach-Probe sah ich mich im Rückspiegel sicherer werden. Ich stieg aus, klopfte gegen die Zapfsäule, die Tür der Tanke ging auf.
»Was machen Sie denn hier?«, fragte ich den Mann hinter dem Tresen.
»Ich arbeite hier«, sagte er.
»Wo ist Cleo?«
»Wer will das wissen?«
»Es ist wichtig.«
»Sie kann endlich bei unserem Jungen sein, Zuhause.«
»Sie hat einen Sohn?«, fragte ich.
»Wir.«
Und dann erzählte mir der Mann, dass Cleo die letzten Monate die Nachtschicht übernommen hatte, weil ihr Sohn mit einem Herzfehler über Monate auf Intensiv lag. »Tagsüber durfte sie ihn länger besuchen.«
»Das tut mir leid«, schämte ich mich.
Er nickte und zeigte auf die Rose: »Noch was vor?«
»Ach nee. Ist nur für meine Mutter«, sagte ich und fragte nach einem alten Brötchen.
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Lieber Jan,
das ist wieder eine Geschichte, wie ich sie sehr mag. Dankeschön .
Liebe Grüße von mir 🙋♀️
Das freut mich sehr, liebe Gila :-). Auch endlich eine, über die ich nicht viel nachdenken musste.
Davon brauch ich mehr.
So eine „kleine“ Geschichte transportiert so viele Emotionen und weitere Geschichten. In diesen eher wenigen Zeilen lerne ich gleich Menschen kennen. Unglaublich schön und berührend. Vielen Dank
So eine „kleine“ Geschichte transportiert so viele Emotionen und weitere Geschichten. In diesen eher wenigen Zeilen lerne ich gleich drei Menschen kennen. Unglaublich schön und berührend. Vielen Dank
Vielen Dank, für Deinen Kommentar, liebe Petra 🙂
eine wunderbarer kleine Geschichte, so ist das Leben manchmal auch, wie ermutigend
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